Alarm!

Linda hatte beschlossen, heute Abend nicht schlafen zu gehen. Wir haben alles versucht, keine Chance. Um halb elf sind wir dann schließlich alle zusammen ins Bett gegangen und zumindest Michael und ich sind sofort erschöpft eingeschlafen.

Plötzlich ohrenbetäubender Lärm und eine Stimme aus dem dunklen Wohnzimmer: „A fire has been detected in your building. Please proceed to the staircases immediately. Do not use the elevators…“ Schlaftrunken und leicht panisch versuche ich, das Licht anzumachen, mit dem einzigen Ergebnis, dass die Lampe vom Nachttisch fällt. Also schnappe ich mir Linda und laufe im Halbdunklen Richtung Wohnungstür, schlüpfe in die Stiefel, werfe den Wintermantel über das Kind und greife im Vorbeigehen nach der Handtasche. Michael ist etwas geistesgegenwärtiger als ich und nimmt seine Schlüssel mit. „Nicht zum Fahrstuhl!“ ruft er hinter mir, als wir in den Hausflur rennen. Natürlich nicht, denke ich und stoße die Tür zum Treppenhaus auf. Beißender Geruch schlägt mir entgegen. Die Panik steigt. Wo war nochmal das andere Treppenhaus?? Michael hat schon umgedreht, zurück an der Wohnung vorbei, da ist das Treppenhaus. Vor und hinter uns laufen Nachbar, von unter kommen Feuerwehrmänner. Ich habe neulich noch gedacht, ob so ein Sicherheitstreppenhaus in einem Hochhaus nicht selbstschließende und rauchdichte Türen haben sollte statt Rohrleitungen und Lüftungsschlitze? Aber Brandschutz war noch nie mein Steckenpferd. Unten im Eingangsbereich stehen ein paar Leute. Jemand weist uns an, ins Foyer des Nachbargebäudes zu gehen und so laufen wir im Schlafanzug über die Straße. Der kurze Blick auf das beleuchtete Manhattan wirkt irgendwie surreal. Offenbar waren wir recht schnell. Wir bekommen noch einen Platz auf dem Wartesofa, dann füllt sich das Foyer schnell. Viele Leute haben Kinder oder Hunde dabei. Fast alle sind im Schlafanzug, jemand ist barfuß. Neben mir sitzt eine Frau mit drei kleinen Kindern, gegenüber eine Hochschwangere. Michael macht Platz für eine weitere Schwangere, die sich den Bauch hält. Ich bin zittrig und könnte heulen, Linda sagt noch immer keinen Ton. Vorsichtshalber schaue ich in meine Handtasche und stelle fest, dass darin weder Telefon noch Schlüssel, noch sowas Sinnvolles wie ein Schnuller oder eine Mütze zu finden sind. Immerhin ist das Portmonnaie da und die Drogerie um die Ecke hat 24 Stunden geöffnet. Ich seh uns schon im Schlafanzug Schnuller kaufen und nach Decken suchen. Die Menschen fangen an sich zu unterhalten. Jemand hat Feuerwehrleute nach ganz oben laufen sehen. Die älteren Kinder, die nicht im Halbschlaf an Papas Schulter lehnen, stellen erste Fragen. Ich frage jemanden nach der Uhrzeit. 0:46h.

Und dann, nach vielleicht einer halben Stunde kommt auf einmal Bewegung in die Menge und jemand sagt, wir können wieder zurück in unsere Wohnungen gehen!? Wir sind irritiert und warten erstmal ab. Aber es gehen tatsächlich alle wieder rüber und als sich die Schlange vor unserem Gebäude auflöst, bewegen auch wir uns. Dem Fahrstuhl trauen wir noch nicht und davor warten auch mindestens fünf Hunde plus Herrchen auf den Aufwärtstransport. Wir nehmen dieselbe Treppe, die wir eben noch um unser Leben fürchtend runtergerannt sind und ich wundere mich über den Schlenker im Erdgeschossflur, den ich beim Rauslaufen gar nicht wahrgenommen habe. Oben riecht es noch leicht rauchig, aber sonst sieht alles normal aus. Wir freuen uns über den Schlüssel und betreten noch leicht benommen die Wohnung. „Immerhin wissen wir jetzt, dass die Alarmanlage funktioniert.“ sage ich. „Ja“ sagt Michael, „und wir sollten das zum Anlass nehmen, uns nochmal mit den Fluchtwegen hier im Haus zu befassen, damit Du beim nächsten mal nicht wieder in den Müllraum nach links rennst statt zum Treppenhaus nach rechts.“ Mir fällt die Kinnlade runter. Das habe ich überhaupt nicht gemerkt! Aber er hat recht, die Tür nehmen dem Fahrstuhl führt zum Müllschlucker und nicht zur Treppe… Offenbar war ich blind vor Panik! Am übernächsten Tag kommt eine E-mail von der Hausverwaltung. Ein kleines Feuer sei es gewesen, im Müllschlucker. „Das hattest Du ja schon selber rausgefunden.“ sagt mein Mann.

5 Gedanken zu „Alarm!

  • 2014-12-15 um 11:34
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    Mein Gott, was für eine Story! Das werdet Ihr sicher nie vergessen. Und das in New York.
    Ärgerlich nur, dass Du Dein Telefon vergessen hattest – sonst gäb’s hier sicher tolle Fotos (tschuldigung…)..

    • 2014-12-17 um 16:53
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      Danke Elke, so kann man das auch sehen! Ich habe allerdings in der Nacht noch gedacht, dass solche Erlebnisse jetzt wenigstens gut für einen Blog-Eintrag sind… ;-)

  • 2014-12-16 um 12:29
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    Wow, was fuer eine Nacht. Gut, dass nichts passiert war.

    Im Cambridge, MA ist uns so etwas aehnliches passiert. Nur dass es ein Fehlalarm war und Dominik und ich als Einzige im Schlafanzug draussen vor dem Gebaeude standen! ;-)

    Neben der Erwerbung der Kenntnis ueber Fluchtwege solltet Ihr evtl. auch immer eine Nottasche fuer Linda gepackt halten?

    Passt auf Euch auf. Liebe Gruesse,
    Dan

    • 2014-12-17 um 16:57
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      Aber woher wußten die anderen, dass es ein Fehlalarm war? Kann ja auch gefährlich werden so eine Annahme!

      Ja, in der Nacht habe ich noch alles Notwendige in meine Handtasche gesteckt, aber bei Tageslicht denke ich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass uns das in den nächsten 2,5 Jahren noch einmal passiert, eigentlich gegen Null gehen müsste! – ? Mathematiker gerne vor!

      • 2014-12-24 um 8:21
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        :-)

        nun, in unserem Mietshaus passierte das leider noch einige Male… Beim zweiten Mal sind wir nicht mehr rausgestuerzt!

        Im Nachbarhaus ist das leider auch einige Male passiert…

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