Über den Tellerrand

Ich bin neulich gefragt worden, was ich denn schon an positiven „Andersartigkeiten“ identifiziert habe seit wir hier sind. Ich habe spontan zwei, drei Sachen genannt. Seit dem fallen mir aber immer wieder neue Details auf. Daher möchte ich an dieser Stelle gelegentlich berichten, was man auch ganz anders machen könnte, als es in der alten Heimat üblich ist.

Als Vorbereitung auf unser großes Abenteuer haben wir ein interkulturelles Training bekommen. Eine Amerikanerin, die seit vielen Jahren in Deutschland verheiratet ist, hat uns eine Einführung in die amerikanische Seele gegeben. Das war sehr interessant und hilft mir hier immer wieder, meine Eindrücke in Worte zu fassen. (Was immer noch schwer genug ist.)

Als erstes sei genannt: das freundliche Miteinander. In Deutschland gibt es den Franken, den Westfalen und den Norddeutschen, die dem Sagen nach alle eher maulfaul sind. Als Gegenpol ist z.B. der kölsche Jung schon etwas redseeliger (besonders zur fünften Saison), aber insgesamt kommt man in Deutschland ja nicht unbedingt mit anderen ins Gespräch, nur weil sie neben einem im Fahrstuhl, dem Bus oder an der Supermarktkasse stehen.

Das ist hier ganz anders. Stummes Nebeneinanderstehen wird als eher unangenehm empfunden und wenn man eh gerade warten muss, kann man ja auch ein nettes Pläuschen mit seinem Mitmenschen halten. An dieser Stelle wird von Deutschen gerne angeführt, dass der amerikanische small talk oberflächlich sei und die Freundlichkeit nur vorgetäuscht. Nach meinen bisherigen Erfahrungen kann ich sagen 1. ja und 2. nein. Natürlich führt man keine tiefschürfenden Gespräche und die Themenauswahl ist eher gering; das Wetter, die blauen Augen unseres Kindes und ob der Kinderwagen tatsächlich mitsamt dem passenden Sonnenschirm geliefert wurde (das scheint es hier nicht zu geben). Aber die Freundlichkeit ist schon echt und wirkt positiv nach. Man lässt dem anderen den Vortritt beim Verlassen des Fahrstuhls, wünscht einen schönen Tag an der nächsten Bushaltestelle und wenn der Vordermann an der Kasse umständlich im Geldbeutel kramt, verdreht man eben nicht ungeduldig die Augen, wenn man zwei Minuten vorher noch freundliche Worte gewechselt hat.

Nach einer Stippvisite in Deutschland muss ich ergänzen:

Mit Kind und auf Spielplätzen kommt man auch in Deutschland deutlich schneller ins Gespräch als ohne. Wenn auch nicht so ungezwungen, wie es die Amerikaner schaffen. Auch ein verstohlenes Beäugen ist mir in USA noch nicht begegnet.

Zusätzlich bin wahrscheinlich auch ich als Ausländerin offener als in der Heimat. Man will sich schließlich den (vermeintlichen?) Gepflogenheiten anpassen und legt mehr Wert darauf, selber einen positiven Eindruck zu hinterlassen.

Wenn am Ende „die Amerikaner“ gar nicht wirklich anders sind als „die Deutschen“, sondern der Auslandsaufenthalt schlicht mein Verhalten ändert, so ist ja doch was gewonnen! ;-)